Konferenzbericht WASLI 2023

Bericht von Tabea Phillips - Open Mind Software GmbH - 9.7.2023

WASLI

Mit einem Welcome Dinner ist am 7. Juli 2023 die sechste Weltkonferenz der Gebärdensprachdolmetschenden WASLI (World Association of Sign Language Interpreters) auf Jeju Island / Südkorea gestartet. Es waren ca. 350 taube und hörende Dolmetschende anwesend, man konnte auch hybrid über Zoom teilnehmen, was ca. 100 Personen in Anspruch genommen haben. Nach Workshops und einem Tag Regionalmeetings und Vereinsinterna begann diese erste Konferenz auf dem asiatischen Kontinent mit einem Überblick über den Status der Anerkennung von Gebärdensprachen und der Dolmetschersituation in Afrika - einem Kontinent mit 54 anerkannten Staaten und über 300 nativen Sprachen und fast ebenso vielen Gebärdensprachen. Fragen in Bezug auf den legalen Status von Dolmetschern, deren Ausbildung und Fragen der Anerkennung als Profession wurden beantwortet. Besonders die Machtverhältnisse zwischen der Gehörlosengemeinschaft und hörenden DolmetscherInnen ist in vielen Staaten spannungsgeladen.

Vorträge

Vorträge insbesondere aus dem Themenkomplex der Diversitätsforschung unter Dolmetschenden sowie die verschiedenen Perspektiven der Arbeitsbereiche tauber Dolmetscher, politische Veränderungen in der Anerkennung der Gebärdensprache weltweit und der technischen Neuerungen im Dolmetschbereich fanden alle im Programm Platz.

Von Christopher Tester (USA) lernten wir im Vortrag über taube Dolmetscher im Gerichtsdolmetschsystem, dass die dort festangestellten tauben Dolmetscher über den einfacheren und systemimmanten Zugang zu Informationen die Rolle der Übermittlung der ganzen ritualisierten Interaktion im Gerichtsprozess (Translanguaging) deutlich klientennaher vermitteln können als die hörenden Gebärdensprachdolmetscher allein. Naomi Sheneman, taube Dolmetscherin aus den USA, vermittelte aus ihrem Forschungsbereich, dass die Kulturlücke zwischen hörender und gebärdensprachlicher Sozialisierung erst durch den vereinten Einsatz beider Dolmetschenden geschlossen werden kann. Das extralinguistische Wissen mit linguistischer und kultureller Kompetenz von gehörlos Sozialisierten ist für eine gelungene Gebärdensprachdolmetschübersetzung im Tandem mit hörenden Dolmetschern vonnöten.

ESCAP

Auf politischer Ebene wurde das ESCAP Guidebook für die Asia-Pazifikregion durch Aiko Aikyama (Japan) vorgestellt – eine Art “Hilfestellung” für die Regierungsebene, um Grundfragen zur Gebärdensprache zu klären und das Bewusstsein dafür zu schärfen, warum die politische Anerkennung von Gebärdensprachen nötig ist und was daraus erwachsen kann und muss für die Verbesserung der Lebensbedingungen Gehörloser. Das Guidebook ist auch erhältlich als Zusammenfassung in drei Gebärdensprachvideos. Es wird insbesondere darauf hingewiesen, dass auf allen Ebenen Betroffene selbst in Entscheidungen eingebunden werden, da nur sie das Recht auf die eigene Sprache als vollwertige Staatsbürger besitzen.

Viele Vorträge touchierten den Bereich des technischen Fortschritts: Aus dem Forschungsbereich wurde unter anderem von einer Doktorandin aus Österreich, Tiana Jerkovic, vorgestellt, wie der Wechsel von Dolmetschleistungen in die digitale Welt eingeordnet werden kann: Digital Spaces of Tomorrow: Space, Body and Presence in Remote Interpreting – so lautete der Titel des Vortrags. Es wurde die Variationsbreite von Videoverdolmetschungen mit oder ohne sichtbare Teilnehmer von Dialog bis Konferenzsetting vorgestellt. Leider konzentriert sich der Forschungsstand bis heute primär auf technische Inhalte, Qualität, Adaption und die Diskussion, ob Onlineeinsätze Ersatz für Präsenzeinsätze sein kann. Bisherige Ergebnisse zeigen, dass die Qualität der Verdolmetschung maximal als adäquat bezeichnet werden kann. Fehlende Kommunikationskomponente entsteht durch fehlendes Backchanneling und Feedback.

Online findet keine Anpassung des Mindsets durch einen in Präsenz selbstverständlichen Lokalitätswechsel statt. Es fehlt die Orientierung, ob man sich in einem Krankenhaus, in einem Gerichtsgebäude oder in einem Vorlesungssaal an der Universität befindet – alles findet für die Dolmetschenden vom gleichen Bürostuhl aus statt. Zudem bietet Onlineverdolmetschung keine Backstage mehr, keine vorbereitenden und kennenlernenden Worte in einem Wartesaal oder bevor die Veranstaltung beginnt. Es besteht keine Möglichkeit der mentalen Vorbereitung, sondern mit Uhrschlag beginnt ein Onlinemeeting, sobald alle Teilnehmenden elektronisch verbunden sind. Dies hat zur Folge, dass kein oder wenig Blickkontakt zum Klientel hergestellt werden kann, Störungen (z.B. der Temperatur oder Geräusche im Raum) und deren Einfluss auf Verhalten und Äußerungen können nicht antizipiert werden. Zudem sieht man sich als Dolmetschende selbst mit im Bild – eine Situation, wie sie in Präsenz nicht vorkommt.

Weitere Projekte zu Gebärdensammlungen

Zwei katalanische Kolleginnen, Sara Costa und Judith Murguia Combalia, stellten die in ihrem Projekt entwickelte App SIGNAPP vor. Bei dem Projekt handelt es sich um ein Freiwilligenprojekt, was durch Regierungskreise bezuschusst wurde. Es ist eine Handy-App für katalanische Gebärdensprachvokabeln, die von Gehörlosen selbst kuratiert werden. Bei der Sammlung handelt es sich nicht in erste Linie um ein formales Lexikon, sondern eine Ansammlung von Alltagsgebärden für katalanische Gebärdensprache mit nur wenig fachspezifischen Gebärden. Fokus der App ist, Gebärden so aufbereiten, dass bereits erfundene Gebärden schnell sichtbar und verwendbar sind. Bereits in Verwendung befindliche Terminologie wurde als Videomaterial eingesammelt. Über die Universität Barcelona findet unter Beteiligung gehörloser Forscher, Linguisten und des dortigen Dolmetschausbildungszentrum eine Auswahl und Qualitätskontrolle der Gebärden statt. Die Gebärden werden in Kategorien aufgeteilt und aufgenommen. Momentan werden ca. 1600 Gebärden pro Jahr anvisiert. Die App und die Arbeit daran hat in der Politik deutlich mehr Bewusstsein und Öffentlichkeit für die Gebärdensprache und kommunikativen Bedürfnisse Gehörloser hervorgerufen und war für ACILS ein gutes Tool der Öffentlichkeitsarbeit für Gebärdensprache. Die Möglichkeit einer Vorschlagsapp als Zeitersparnis für Einreichung und Diskussion in der tauben Community statt einer Einreichung per E-Mail wurde von den Vortragenden als sehr wünschenswert für sie eingestuft. Sie würden sich eine Übernahme der Technologie unserer kommenden Gebärdenvorschlagsapp von Sign4All sehr wünschen.

In einem ähnlichen Kontext der Neuerstellung von Fachgebärden berichtete Caroline O’Leary und Ciara Grant aus Irland von dem laufenden Projekt des irischen Parlamentes. In Irland wurden nach der Anerkennung der Gebärdensprache als vollwertige Sprache im Parlament 2 Dolmetschstellen ins Leben gerufen. Das Parlament unterhält eine ausführliche Webseite und das sogenannte Parlament TV, welches aktuelle Debatten und Informationssendungen sendet und wo ein guter Prozentsatz des Gesendeten im Gebärdensprachvideostudio verdolmetscht wird. Bei der Arbeit wurde bald klar, dass politische Gebärden der Standardisierung benötigen, um in der Simultanverdolmetschung schnell genug zu bleiben. Damit wurde die Idee des politischen Glossars mit 82 Fachgebärden geboren. Die englischen politischen Termini ohne Gebärde wurden gesammelt und für die 82 Gebärden, auf die man sich dann in Kollaboration mit den gehörlosen Experten der Deaf Studies Universitätsausbildung einigte, wurden neue Gebärden erfunden von tauben DolmetscherInnen innerhalb des linguistischen Moduls der Ausbildung tauber Dolmetscher an der Universität. Damit ist das Projekt inhaltlich völlig in Händen der Gebärdensprachnutzer, auch wenn die beiden Initiatorinnen hörend sind. Die Gebärden wurden nach einem Ampelsystem klassifiziert, wobei nach der intuitiven Anwendung der Gebärden bewertet wurde. Durch verschiedene Feedbackoptionen wurde die Gehörlosen-Community in die Gebärdenfindung eingebunden. Zum jetzigen Zeitpunkt laufen die Aufnahme und Postproduktion der Gebärden, die Veröffentlichung des Glossars ist für den Herbst 2023 vorgesehen. Die bei uns Sign4All in Entwicklung befindliche Gebärdenvorschlagsapp mit Diskussionsmöglichkeiten und Feedback zu einzelnen Gebärden hat bei den Iren zu großer Begeisterung geführt und sie würden sich für eine weitere Runde neuer Gebärden auch eine solche in Betracht ziehen.

Fazit WASLI 2023 für Sign4All

Es hat sich sowohl für Sign4All in der Öffentlichkeitsarbeit sehr gelohnt, den weiten Weg nach Korea auf sich zu nehmen. Es gab viele Interessierte an unserem Thema, es trifft den Nerv der Zeit, möglichst viel in der Cloud zugänglich zu machen. Von dem deutschen Projekt Sing4All mit weitaus größerem Funktionsspektrum als die App der Katalonier – und insbesondere der Möglichkeit, private Lexika anlegen zu können sowie die intuitive und aufwandsarme Möglichkeit neue Gebärden vorzuschlagen, erwartet gerade der europäische Dolmetschmarkt Großes. Die DGSVO hat vielen Austauschmöglichkeiten den Garaus gemacht. Aus Verzweiflung wird in Dolmetschteams wieder auf E-Mail und private Sammlungen auf PCs zurückgegriffen. Die Option der Rückwärtssuche hat besonders unter tauben Dolmetschern Interesse geweckt, da dies eine Neuheit darstellt. Besonderes Interesse hat international die kommende Sign4All Gebärdenvorschlagsapp geweckt, da viele Projekte mit ähnlichen Gebärdensammlungszielen die Vorarbeit der Diskussion um (neue) Gebärden auf der Zeitschiene deutlich unterschätzt haben und jede Person, die mich darauf angesprochen hat, das Einsparungspotential in Zeit und Geld über den Weg der App wertgeschätzt hat.